Dr. Mohinder Singh Jus – Erinnerungen an einen großartigen Menschen, Homöopathen, Lehrer, Autor, Künstler und so viel mehr
Dr. Mohinder Singh Jus hat mein Leben und das von so vielen Anderen geprägt, wie kein anderer Mensch. Er hat mir so viel über die Liebe zum Leben, über Zusammenhänge von Gesundheit und Krankheit gelehrt. Mit jedem einzelnen Menschen den er behandelt hatte, hat er auch immer uns Studenten mit behandelt. Denn über sich selbst nachzudenken, warum dies oder jenes in unserem Leben ist oder geschieht, hilft uns, zu unserem besten Selbst und somit auch seelisch und körperlich gesund zu werden.
Die Art und Weise seiner Fallaufnahmen sind einzigartig gewesen und er praktizierte Liveanamnesen für uns Lernende, die für uns sehr wertvoll für die Behandlung der Patienten sind.
Am 10.06.2019 verstarb unerwartet und plötzlich mein hoch verehrter Lehrer Dr. Mohinder Singh Jus.
Seit 2004 besuchte ich regelmäßig seine Homöopathie Seminare und Vorträge in Deutschland und der Schweiz.
Im Jahr 2016 hatte ich die große Ehre, mit anderen Studenten, an seiner Seite an einem Homöopathie Praktikum in Indien/Goa am Shri Kamaxidevi Homoeopathic Hospital teilzunehmen.
Auf www.youtube.de sind einige Vorträge von ihm veröffentlicht, hier können Sie sich einen Eindruck von seiner Einzigartigkeit verschaffen.
https://www.youtube.com/channel/UCMn6EwsnaN3zBz5n-KNKy-Q
Ihm zu Ehren habe ich einen kleinen Film „Words of wisdom“ erstellt:
https://www.youtube.com/watch?v=URnRbc9iRF8&feature=youtu.be
Mein indischer Kollege Dr. Rajiv Peres veröffentlichte auf seiner Homepage im letzten Jahr einen Nachruf. Er hat alles hineingeschrieben, was ich nicht hätte besser sagen können. Mit seiner freundlichen Genehmigung habe ich ihn frei übersetzt und präsentiere dies hier:
Dr. Mohinder Singh Jus
Am 10. September 1947 wurde Dr. Mohinder Singh Jus in Delhi in eine Künstlerfamilie geboren und so lag der Wunsch nahe, auch ein Künstler zu werden. Zusätzlich war sein Vater ein Hobby-Homöopath.
Als Jugendlicher wollte er dann Cricketspieler werden.
Aber das Schicksal erwählte ihn als Homöopathen.
Er konnte sich sehr glücklich schätzten, denn in seinem Studium bekam er persönliche Anweisungen, persönlichen Unterricht von Dr. B.K. Bose (indischer homöopathischer Arzt) am Calcutta Homoeopathic Medical College und im Krankenhaus.
1968 schloss er mit dem „Diploma of Medicine and Surgery“ ab und 2010 erwarb er auch noch seinen Doktortitel.
Er war einer der Lieblingsschüler von Dr. B.K.Bose. Nach Abschluss seines DMS und der Segnung durch seinen Lehrer Dr. Bose kehrte er nach Delhi zurück. Als 1979 sein Lehrer schwer krank war und in einem stuporen Zustand an das Bett gebunden war, besuchte ihn Dr. Jus. und schüttelte seinen Lehrer weinend mit den Worten: „Das kann doch nicht der Zustand des Löwen der Homöopathie sein“. Das hörend, erwachte Dr. B.K. Bose aus seinem komaartigen Zustand, legte seine Hände auf das Gesicht von Dr. Jus und antwortete: „Halt die Klappe Mohinder“.
Dr. B.K. Bose bat Dr. Jus, „…to take care of Homoeopathy and give further what I have given to you“ – sich um die Homöopathie zu kümmern und weiterzugeben, was er ihm gegeben hatte, bevor er starb.
Von 1969 bis 1985 hatte er eine Privatpraxis in Neu-Delhi. Er begann anfangs auf einfache und bescheidene Art und Weise zu praktizieren, und in kurzer Zeit hatte er eine geschäftige Klinik. Er hatte 120 Patienten pro Tag. Die Klinik war überfüllt und oft suchten zwei Patienten gleichzeitig seine Aufmerksamkeit. Er nahm sich aber immer auch noch Zeit, um in die Slums von Delhi zu gehen und seine Dienste jede Woche kostenlos anzubieten. Er legte großen Wert darauf zu dienen, bevor er an sich selbst dachte.
Dr. Jus war eine Speerspitze in der Niederlassung des HMAI Delhi. Er war auch Dozent am Nehru Homoeopathic Medical College. Er war so berühmt, dass zu seinen Patienten unter anderem die damalige Premierministerin Indira Gandhi und Rajiv Gandhi, Arzt des Präsidenten, und Spitzenminister gehörten.
Als Dr. Jus 1985 beschloss, in die Schweiz zu ziehen, war es für alle seine Kollegen eine schockierende Nachricht. Aber irgendwie ahnten sie schon, dass er sich auf eine neue Mission begeben würde. Viele seiner Freunde nannten ihn einfältig, so eine sehr gut laufende Praxis aufzugeben. Dr. Jus ließ sich nicht entmutigen. Er glaubte an die Aussaat von Samen an einem neuen Ort und so ging er in die Schweiz und gründete seine Klinik/Praxis mit Hilfe eines Übersetzers. Zur gleichen Zeit begann er, Deutsch zu lernen. In ein paar Monaten wurde er besser als sein Übersetzer. Damals hatte das Schweizer Volk Probleme nur das Wort „Homöopathie“ auszusprechen. Die einzige Homöopathie, die sie kannten, waren die Mischungen (Komplexmittelbehandlungen) von Schwabe und Reckeweg. Damals hob Dr. Jus das Banner der klassischen Homöopathie auf und führte viele Sensibilisierungsprogramme für die breite Öffentlichkeit durch.
1988 gründete er das SHI Homöopathische Institut. Seine ersten Schüler aus der Schweiz waren Schulmediziner und sie alle hatten geschäftige Praxen. Er bekehrte sie zur Homöopathie und die Homöopathie blühte in ihrer Praxis auf.
Als Dr. Jus in der Schweiz berühmt wurde, fand er es notwendig, dass es noch mehr Ärzte, Heilpraktiker und Menschen gab, die klinisch mit der Homöopathie arbeiten sollten.
1993 gründete er die B.K. Bose Stiftung und die SHI Homoeopathie Schule in Zug, einer Kleinstadt bei Zürich, um mehr Homöopathen auszubilden. Er entwickelte einen viereinhalbjährigen Studiengang. Er schrieb die drei bändige“Praktische Materia Medica“, und Bücher über „Kindertypen“, „Homöopathische Erste Hilfe“ und „Verletzungen homöopathisch behandeln“(anm. Übersetzer: und das in viele Sprachen übersetzte Werk „Die Reise einer Krankheit“). Er gründete die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „Similia“.
Er schloss seinen externen Doktortitel in Homöopathie in Muzaffarpur zum Thema „Organon of Medicine“ ab. Sein Prüfer war Dr. Mahendra Singh der Große von Kalkutta. Als er die Dissertation von Dr. Jus sah, war er so beeindruckt, dass er Dr. Jus sagte, dass diese Arbeit in einem Buch veröffentlicht werden muss. Dr. Jus ein Meister der Materia Medica war, interessierte sich aber auch sehr für das Organon. Er reiste durch ganz Europa, um Vorträge und Seminare über die Homöopathie zu halten. Er ging nach Polen, obwohl sich die Institution seine Reise nicht leisten konnte. Sein Leben basierte auf Nächstenliebe und seiner Mission.
In seiner Institution hat er ein Museum, das seinem Lehrer Dr. B.K. Bose gewidmet ist, wo er eine reiche Sammlung von persönlichen Gegenständen wie Brillen, Briefe, Kleidung, ein Stethoskop, etc. hat. Er liebte seinen Lehrer so sehr, dass er die jüngere Schwägerin von Dr. Bose unterstützte, die sich bis zuletzt um seinen Lehrer kümmerte.
In der Schweiz überzeugte Dr. Jus die Gemeinde, ihm die Nutzung eines dreieckigen ungenutzten Grundstücks in der Nähe der SHI zu erlauben und baute es in einen schönen homöopathischen Heilgarten um. Die meisten der hochkarätigen Beamten der Gemeinde waren seine Patienten. Er errichtete ein Denkmal für Hahnemann, welcher immer sein Lieblingsplatz im Garten war.
Der größte Teil von Dr. Jus‘ Leben war der Aufklärung und Förderung der Homöopathie gewidmet. Als Lehrer war er sehr geschickt in der Kunst, den Fall auf der Bühne zu demonstrieren. Seine durchdringenden, eingängigen Beobachtungen brachten ihm den Ruf ein, auf das passende homöopathische Mittel zu kommen, schon während der Patient hereinkam und sich setzte. Er begann mit der Aufnahme des Falles, so dass alle um ihn herum seine Sichtweise einnehmen und leicht verstehen konnten, warum das Medikament gewählt wurde. Er fasste den Fall für seine Schüler immer zusammen. Er vereinfachte alles in der Homöopathie, besonders die Miasmen. Er organisierte und hielt Vorträge über Asthma, Arthritis, M.S., ADHS, etc.. Er sprach mit seinen Patienten in so einer angenehmen Art, dass sie sich für immer an seinen Rat erinnern würden.
Ich (Anm. Übersetzer: Dr. Rajiv Peres) lernte diesen Riesen 2003 kennen, als er mit meinem College (Hochschule), dem Shri Kamaxidevi Homoeopathic Medical College und dem Krankenhaus in Goa, eine Vereinbarung unterzeichnete.
Ich war im ersten B.H.M.S. und Dr. Jus hielt uns einen Vortrag darüber, wie stolz wir sein sollten, Homöopathen zu sein. Später hatte ich die großartige Gelegenheit, sein Übersetzer zu sein. Jedes Jahr besuchte er Goa mit seinem Studententeam, unterrichtete und behandelte direkt am Krankenbett, in der Ambulanz, in Camps für die Armen und spendete Geld für die Unterprivilegierten, sowie Rollstühle und andere hilfreiche Ausrüstungen an unser S.KH.M.C. Krankenhaus, in Shiroda.
Er war bei Patienten und Schülern, sowie bei Lehrern sehr beliebt. Seine Tätigkeiten in der Krankenhaus Ambulanz und den Camps waren so erschöpfend, dass wir dadurch ausgelaugt waren.
Dr. Jus war energisch wie immer, voller Humor und sprach immer mit Mitgefühl.
Seine Begegnung mit einem Patienten war sehr kurz, kaum 5-10 Minuten, aber die Wirkung blieb ein Leben lang erhalten. Ich erinnere mich an einen Alkoholiker, den das ganze Dorf hasste, der sein Leben nach einer Verschreibung von Dr. Jus komplett verändert hat. Er gab nicht nur den Alkohol auf, sondern nahm auch einen Job an, heiratete später und lebte glücklich.
Ein Patient, der ihn einmal konsultiert hat, würde ihn für immer lieben.
Er war der größte Einfluss auf die angehenden Homöopathen und veränderte fast jeden.
Ich erinnere mich an einen Fall eines 55 Jahre alten Fischers, der mit einer Fistel auf dem linken Fußrücken zu kämpfen hatte. Sechs Monate lang konnten mehrere Chirurgen in Goa nicht bei der Heilung helfen. Die Wunde entstand, als er in einer felsigen Region Krabben sammeln wollte. Wenn man auf das Dorsum drückte, blutete die Wunde an drei Stellen. Dr. Jus sah die Wunde und sprach mit dem Patienten. Zwei Dosen von Lachesis 1M wurden verabreicht. Nach 3 Monaten heilte die Wunde vollständig aus.
Ein weiterer Fall war die Verdunkelung einer Zehe bei einem Diabetiker mit Unempfindlichkeit des betroffenen Teils. Es wurde mit ein paar Dosen Carbo Animalis C200 vollständig geheilt.
Ein Kind von 7 Jahren mit Leberzirrhose und Aszites bekam von ihm mit Iodium LM1 großartig geholfen.
Er hatte immer etwas in seinem Repertoire für hoffnungslose Fälle und niemand war enttäuscht, der ihn konsultierte. Es war bekannt, dass er hohe Potenzen mit größter Zuversicht einsetzte. Er brauchte kein Repertorium, kein Buch, auf das er sich beziehen konnte, denn er wusste alles in seinem Kopf.
Die Patienten warteten das ganze Jahr darauf, ihn zu sehen. Dieses Jahr hatte ich eine Patientin, die schreckliche Schmerzen in der rechten Schulter hatte, die sie nachts nicht schlafen ließen. Ich versuchte einige Medikamente und scheiterte. Ich brachte sie zu Dr. Jus und er verschrieb Lycopodium XM, 2 Dosen. In drei Tagen war ihre „gefrorene“ Schulter völlig besser und ihr Bewegungsumfang kehrte zurück.
Dr. Jus‘ Art der Fallbearbeitung war völlig einzigartig. Zu Beginn ihres Falles hatte er sie gefragt: „Wo ist dein Mann?“ Sie sagte, er arbeite im Ausland, also müsse sie alle Haushaltspflichten allein tragen. Diesen Aspekt hatte ich bei dem früheren Anamnesegespräch vernachlässigt.
Dr. Jus zeigte uns, wie wir einen Fall angehen können. Oft sah er unsere Fehler in seinem Einsatz in der Ambulanz, als wir unsere gescheiterten Fälle präsentierten. Allerdings sprach er nie über unsere Fehler vor dem Patienten. Er glaubte, dass jeder Mensch seine eigene Rolle hat und jede Homöopathie Schule ihren eigenen Platz hat. Er folgte Kents Lehren, die von Dr. B.K. Bose weiter modifiziert wurden.
Er sagte, dass alles, was Menschen zu erleiden haben, für deren Lernen und Lehren ist. Die hartnäckigsten Fälle liesen sich unter seiner Aufsicht lösen, und die Patienten blieben monatelang und jahrelang in Remission. Er zeigte uns, was eine vollständige Heilung ist.
Er blieb demütig bis zu seinem letzten Tag.
Im Jahr 2008 organisierte das Goa Homoeopathy College eine nationale homöopathische Konferenz über Lifestyle Erkrankungen, bei der Dr. Jus mit dem „B.K. Bose Best Teacher Award“ ausgezeichnet wurde. Die Jahre vergingen und die Verbindung zwischen den beiden Institutionen wurde mehr als ein Jahrzehnt alt.
Im Jahr 2018 beschloss Dr. Jus, dieses intensive Trainingsprogramm in Goa einzustellen, aber Dr. Jus und seine Frau leisteten weiterhin kostenlose Dienste für die Gemeinschaft.
Dr. Jus war wie ein Vater für mich (Anm. Übersetzer: Dr. Rajiv Peres). Er behandelte mich, als ich krank wurde, er motivierte mich, während ich meinen M.D.-Kurs (homöopathischer Arzt Ausbildung) machte, und ermutigte mich, als ich erfolgreich war.
Im Februar 2011 hatte ich das Glück, die Auszeichnung – verliehen vom Shri Kamaxidevi Homoeopathic College and Hospital, Goa – „Best Teacher’s Award“ aus den Händen von Dr. Jus zu erhalten.
Er war ein geschickter Maler, Musiker, ein ausgebildeter klassischer Sänger, ein talentierter guter Koch, ein großartiger Autor und charismatischer Lehrer.
In diesem Jahr (2019) kam Dr. Jus im Februar mit seiner Frau Martine nach Goa und führte wie immer Homöopathie Camps und ambulante Behandlungen durch. Auch nach 50 Jahren Homöopathie klang er nie arrogant, sondern verkündete, dass er noch lerne. Dr. Jus sagte, er wolle nicht als einziger Mann, der diese Fähigkeiten besitzt, ins Grab gehen. Deshalb hat er in der Schweiz über drei Jahrzehnte lang die nächste Linie von Homöopathen persönlich ausgebildet.
Er hat seine Mission auf Erden erfüllt.
Ich erinnere mich an ihn, als er eine Patientin tröstete, die ihren Geliebten im O.P.D. (Anm. Übersetzer: in der Krankenhaus Ambulanz) verloren hatte. Er sagte: „Du denkst nur an deinen Verlust, denkst an seinen Gewinn? Lerne großzügig zu sein. Gott hat ihn dir gegeben, aber du willst ihm nicht zurückgeben, was ihm gehört.“
Er erinnerte sie daran, dass das Leben nicht in unseren Händen ist und dass wir alle sterben müssen, also warum sich Sorgen machen? Wie können wir wertvolle Zeit damit verschwenden, den Tod zu fürchten, wenn wir so wenig Zeit zum Leben haben?
Er lebte ein außergewöhnliches Leben und wird für die Art wie er lebte in Erinnerung bleiben.
Mein großer Mentor Dr. Jus ist am 10. Juni 2019 zu seinem himmlischen Bestimmungsort aufgebrochen.
Die homöopathische Welt verlor einen Diamanten.
Quelle:
https://hpathy.com/homeopathy-papers/dr-mohinder-singh-jus-an-indian-legend/
Mit freundlicher Genehmigung des Autor Dr. Rajiv Peres, Indien/Goa,
frei übersetzt aus dem Englischen von Dana Krieg – Heilpraktikerin, Klassische Homöopathie
Für weitere Informationen:
https://www.facebook.com/SHI.Haus/